Was ist „Mom Rage“ und warum du nicht allein bist

In diesem Artikel erfährst du, warum so viele Mütter mit „Mom Rage“ kämpfen, was dahintersteckt und warum es nicht deine Schuld ist.

Lesedauer: 12 Minuten

Es ist 17 Uhr. Dein Baby schreit, es will auf den Arm – du bist die einzige Person, die es beruhigen kann. Seit Stunden hattest du keine ruhige Minute, nicht mal, um etwas zu essen. Die Wohnung sieht aus, als wäre ein Tornado durchgefegt, und dein einziger erwachsener Gesprächspartner heute war der Postbote. Du spürst, wie die Erschöpfung langsam kippt – erst in Frust, dann in Wut.

Und dann passiert es: Du schreist. Vielleicht knallst du eine Tür zu. Und kaum ist der Moment vorbei, kommt sie – die Welle danach. Schuldgefühle, Selbstzweifel. „Was stimmt nicht mit mir?“, fragst du dich. Willkommen in der Welt von „Mom Rage“.

Was ist „Mom Rage“ überhaupt?

Falls du dich in dieser Szene wiedererkannt hast, möchte ich dir als Erstes sagen: Du bist nicht allein. Und nein, du bist keine schlechte Mutter. Wut ist kein Zeichen von Versagen – sie ist ein Signal.

„Mom Rage“ ist keine offizielle medizinische Diagnose, aber ein Phänomen, das in der Wissenschaft zunehmend untersucht wird. Es beschreibt plötzliche, oft überwältigende Wutanfälle, die Mütter im Alltag erleben – meist ausgelöst durch Stress, Überforderung oder das Gefühl, mit allem allein zu sein.

Laut einer aktuellen Studie erleben viele Mütter diese Art von intensiver Wut als eine Mischung aus Frustration, Kontrollverlust und Hilflosigkeit (Vik & DeGroot, 2021). Dabei handelt es sich nicht um „normale“ Gereiztheit, sondern um starke emotionale Reaktionen, die tief aus dem Unterbewusstsein kommen und oft von Schuldgefühlen begleitet werden.

Gereizt sein ist, wenn du genervt seufzt, weil dein Kind die Cornflakes verschüttet. Mom Rage ist, wenn du plötzlich das Bedürfnis hast, aus dem Raum zu stürmen oder in ein Kissen zu schreien, weil einfach alles zu viel ist.

Das Tabu der wütenden Mutter

Ich erinnere mich noch genau an eine dieser Nächte. Mein Baby hat ununterbrochen geschrien, ich war müde bis ins Mark, und als ich nochmal versuchte es in den Schlaf zu schunkeln, spürte ich, wie die Wut in mir hochstieg. Ich wurde so wütend, dass ich am liebsten gegen die Wand geschlagen hätte. Warum schläfst du nicht einfach? Ich dachte es nicht nur – es rutschte mir heraus. Und in dem Moment brach es mir das Herz. Warum habe ich das gesagt? Warum fühle ich so? Was bin ich für eine Mutter? 

Wut ist eine der am stärksten tabuisierten Emotionen in der Mutterschaft. Während Traurigkeit oder Erschöpfung inzwischen offener thematisiert werden, wird von Müttern erwartet, dass sie geduldig, liebevoll und „sanftmütig“ sind – selbst bei völliger Überforderung. Doch genau diese Stille hat dazu geführt, dass viele Frauen dachten, mit ihnen sei etwas falsch – dabei ist Mom-Rage eine Reaktion auf chronische Überlastung.

Warum spricht niemand darüber?

„Manchmal Frage ich mich, ob andere Mütter auch so empfinden“

  • Scham & Schuldgefühle – Viele Mütter denken, dass Wut in der Mutterschaft nichts zu suchen hat. Sie fühlen sich schuldig und schämen sich dafür, wenn sie laut werden oder die Geduld verlieren.
  • Angst, als „schlechte Mutter“ abgestempelt zu werden – Eine Studie zeigt, dass viele Frauen Angst haben, über ihre Wut zu sprechen, weil sie fürchten, als „schlechte Mutter“ abgestempelt zu werden (Vik & DeGroot, 2021). 
  • Die Sorge vor Konsequenzen – Manche Mütter haben Angst, dass ihr Umfeld sie als überfordert wahrnimmt oder ihnen sogar unterstellt, ihrem Kind zu schaden. Die Angst vor Vorwürfen oder sozialer Ausgrenzung ist groß.
  • Fehlender Raum für ehrliche Gespräche – Während Themen wie Erschöpfung oder Überforderung langsam enttabuisiert werden, bleibt Wut oft ein Tabu. Es fehlt an offenen Gesprächen darüber, dass auch gute Mütter wütend werden können.
  • Erwartung, Emotionen zu unterdrücken – Von klein auf wird vielen Frauen beigebracht, ruhig und beherrscht zu bleiben. Eine wütende Mutter? Das passt für viele nicht zum Idealbild der liebevollen, geduldigen Frau.
  • Der Druck, immer „alles im Griff“ zu haben – Mütter organisieren den Alltag, begleiten ihre Kinder liebevoll und versuchen dabei auch noch möglichst entspannt bleiben. Ein Wutausbruch aus Überforderung fühlt sich an wie ein Kontrollverlust – und viele wollen nicht zugeben, dass sie manchmal nicht mehr können.

Woher kommt diese Wut?

Wie wir bereits gesehen haben, lastet ein enormer Druck auf Müttern – ein Druck, der aus vielen Richtungen kommt. Gesellschaftliche Erwartungen, transgenerationale Prägungen, die eigene Erziehung und nicht zuletzt die unrealistischen Ansprüche an sich selbst. Die Botschaft ist oft klar: Eine „gute Mutter“ ist geduldig und stellt ihre eigenen Bedürfnisse zurück. Doch genau diese ständige Selbstkontrolle, kombiniert mit Erschöpfung und Überlastung, verstärkt die Wut.

Und als wäre das nicht genug, gibt es noch weitere Faktoren, die „Mom-Rage“ befeuern

1. Mentale Überlastung – Die Last der unsichtbaren To-Do-Liste

Mütter tragen oft die Hauptverantwortung für die Organisation des Familienlebens – von Arztterminen über den Essensplan bis hin zu vergessenen Sportklamotten. Diese unsichtbare Last, auch bekannt als „Mental Load“, wird oft unterschätzt, aber sie ist einer der größten Faktoren für „Mom Rage“ (Daminger, 2019).

„Ich bin nicht nur für mich selbst verantwortlich, sondern für alles und jeden in diesem Haus. Und dann soll ich auch noch ruhig bleiben, wenn keiner mithilft?“ – eine Mutter aus einer Studie (Vik & DeGroot, 2021)

2. Schlafmangel und hormonelle Achterbahn

Besonders in den ersten Jahren leiden viele Mütter unter chronischem Schlafmangel. Wenig Schlaf erhöht den Stresslevel und kann Wut verstärken (Nichols, Gringle & Pulliam, 2015) . Zudem spielen Hormone eine Rolle: Nach der Geburt fallen Östrogen und Progesteron stark ab, was Stimmungsschwankungen begünstigt (Kruger et al., 2014).

3. Unterdrückte Bedürfnisse – Wenn Mama immer zuletzt kommt

Viele Mütter setzen ihre eigenen Bedürfnisse jahrelang an letzte Stelle. Kein Wunder, dass irgendwann eine innere Frustration entsteht. Ein Forscherteam fand heraus, dass Frauen mit starkem sozialen Druck, sich für ihre Kinder „aufzuopfern“, häufiger Wutausbrüche erleben .

4. Die ewige Schuldfrage

Viele Mütter empfinden nicht nur Wut, sondern auch sofortige Schuld danach. Eine Untersuchung ergab, dass 78 % der befragten Mütter sich nach einer „Mom Rage“-Episode schlecht fühlten und sich selbst verurteilten . Doch Schuldgefühle führen nur dazu, dass die Wut noch weiter unterdrückt wird – bis sie irgendwann wieder herausbricht.

Was kann helfen?

Mom Rage fühlt sich oft überwältigend an – aber es gibt Wege, besser damit umzugehen. Die Tipps, die du hier findest, basieren auf meinen eigenen Erfahrungen. Dinge, die mir geholfen haben, wenn die Wut hochgekocht ist, wenn ich mich hilflos gefühlt habe oder einfach nicht mehr konnte. Vielleicht ist etwas dabei, das auch dir hilft 💛

1. Akzeptiere, dass Wut eine normale Emotion ist

Die erste und vielleicht wichtigste Erkenntnis: Wut ist keine „schlechte“ Emotion. Sie ist einfach da. Und wie jede andere Emotion hat sie ihre Gründe, auch wenn diese nicht immer sofort ersichtlich sind. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir Frauen oft beibringen, dass Wut „unweiblich“ oder „unangemessen“ ist – während Männern eher die Freiheit haben, diese Emotion offen zu zeigen. (Im Englischen gibt es sogar einen Namen, der wütenden Frauen verpasst wird: „Karens“, das macht klar, dass Frauen die offen ihre Wut zeigen, leider selten gut dabei weg kommen). Aber was passiert, wenn wir unsere Wut unterdrücken? Sie staut sich auf und kommt dann in den unpassendsten Momenten heraus.

Wie kannst du also lernen die Wut zu akzeptieren? Indem du dir selbst die Erlaubnis gibst, sie zu fühlen. Es ist okay, wütend zu sein, und es macht dich nicht zu einer schlechten Mutter. Tatsächlich kann es ein Zeichen dafür sein, dass etwas in deinem Leben – sei es der Alltag, deine Bedürfnisse oder deine Erwartungen an dich selbst – mehr Aufmerksamkeit braucht.

Frage dich: Was steckt hinter der Wut? Was fühlt sich gerade überfordernd an? Vielleicht fehlt es an Unterstützung, vielleicht hast du gerade keine Zeit für dich selbst. Die Wut zeigt dir, dass du an einem Punkt angekommen bist, an dem du mehr Raum für deine eigenen Bedürfnisse brauchst.

2. Finde deine Wut-Trigger

Wann rastest du am ehesten aus? Ist es, wenn du müde bist, überfordert oder das Gefühl hast, niemand sieht dich? Diese Auslöser sind oft der Grund, warum die Wut überhand nimmt. Wenn du sie erkennst, kannst du vorsorgen.

Beobachte, welche Situationen dich stressen. Aber noch wichtiger: Überprüfe, ob deine eigenen Grundbedürfnisse erfüllt sind. Das klingt banal, aber oft sind es die einfachen Dinge wie Schlaf, Essen, Trinken oder mal schnell auf die Toilette gehen, die völlig außer Acht gelassen werden. Und diese Basics können riesige Auswirkungen haben.

Wenn du weißt, was dich triggert, kannst du reagieren, bevor es zu spät ist.

Du kannst versuchen deine Wut zu entschärfen, indem du:

  • Regelmäßig Pausen einbaust.
  • Die Verantwortung mit dem anderen Elternteil in Balance bringst z.B. wer übernimmt welche Aufgaben und wo könnt ihr euch Hilfe von außen holen?
  • Deine Grenzen klar kommunizierst und auch Hilfe von außen annimmst

Je mehr du über deine Trigger weißt, desto mehr kannst du lernen nicht nur auf sie zu reagieren, sondern proaktiv zu handeln.

3. Gewinne Abstand zu der Emotion

Wut taucht nicht einfach grundlos auf. Dein Körper und dein Nervensystem reagieren auf Reize – und zack, da ist sie. Aber während du das Gefühl selbst nicht steuern kannst, kannst du beeinflussen, wie du damit umgehst. Und hier ist der Entscheidende Punkt, den zwischen dem Wut-Trigger und der Reaktion gibt es einen winzigen Augenblick. Und diesen gilt es zu nutzen um Abstand zu gewinnen und nicht in der Wut-Welle unterzugehen.

➡ Lässt du dich von der Wut mitreißen oder hältst du einen Moment inne?
➡ Glaubst du, dass deine Emotionen die absolute Wahrheit sind – oder erkennst du alte Muster?
➡ Bleibst du in der Wut stecken oder lässt du sie bewusst ziehen?

Gewinne Abstand indem du lernst, dass Wut eine Welle ist – aber du bist nicht die Wut. Wenn du sagst: „Ich bin wütend“, verschmilzt du mit dem Gefühl. Wenn du aber denkst: „Ich bemerke, dass da Wut ist“, schaffst du Abstand. Du bekommst Raum zum Atmen – und kannst bewusst entscheiden, wie du weitergehst.

Du kannst nicht steuern, was du fühlst. Aber du kannst steuern, ob das Gefühl dich und deine Handlung kontrolliert – oder ob du es für dich nutzt. Und ja, das braucht Übung den Abstand zu der Wut zu gewinnen, aber es kann klappen, jedes mal ein bisschen besser.

Ich kann dir auch nur sehr ans Herz legen, erfahrene Hilfe von Außen zu holen. Das war für mich ein echter Game-Changer, denn oft scheint man so gefangen in den eigenen Emotionen, dass jemand von außen uns helfen kann, einen besseren Blick für unseren Gefühle zu bekommen. In meinem Artikel über praktische Alltagstipps bei Herausforderungen, schreibe ich mehr dazu ❤️

4. Schaffe kleine Auszeiten für dich selbst

Ich weiß, das klingt fast unmöglich, wenn du das Gefühl hast, rund um die Uhr gebraucht zu werden. Besonders wenn dein Kind noch so klein ist, kann der Gedanke, ein paar Minuten für dich allein zu haben, wie ein Tropfen auf den heißen Stein wirken. In den Momenten, in denen du denkst, du kannst nicht mehr, scheint es fast wie eine unmögliche Aufgabe, dir eine Auszeit zu nehmen.

Aber hier kommt der entscheidende Punkt: Es ist wichtig, dass du dir diese kleinen Auszeiten nimmst – auch wenn es sich manchmal nach einer Herausforderung anfühlt. Schon fünf Minuten tief durchatmen, ein kurzes Lied hören oder frische Luft schnappen können, Wunder wirken. Diese kurzen Pausen helfen dir, dich wieder aufzuladen, damit du für dich und deine Familie da sein kannst.

Es ist auch wichtig, diese Bedürfnisse klar dem anderen Elternteil zu kommunizieren. Es geht nicht darum, dass er das Kind übernimmt und dir dabei dann mit dem Kind auf dem Arm überall hin folgt (Ja, auch das soll’s geben ;). Vielmehr geht es darum, dass du für ein festgelegtes Zeitfenster völlig frei von Verantwortung bist. Diese kleinen Auszeiten sind keine Selbstsucht – sie sind nötig, damit du in der Lage bist, deine Kraft wiederzufinden und als Mutter präsent zu sein.

5. Den Mental Load reduzieren – und Raum für echte Zusammenarbeit schaffen

Der Mental Load – die ständige Verantwortung für den ganzen Alltagskram – ist etwas, das viele Mütter alleine tragen. In unserer Gesellschaft wird oft nicht wirklich geteilt, was es bedeutet, die Familie zu managen. Es fühlt sich an, als ob alles auf den Schultern der Mutter liegt, was schnell zu Überforderung führt.

Es geht darum, diesen Mental Load mehr in Balance mit dem anderen Elternteil zu bringen. Das bedeutet nicht nur, Aufgaben zu verteilen, sondern auch anzuerkennen, dass man als Mutter mehr braucht als gelegentliche Hilfe. Es braucht echte Zusammenarbeit und Unterstützung, das beginnt schon bei dir selbst, wenn du dich fragst: „Was brauche ICH eigentlich?“ anstatt: „Wenn’s keiner macht, tu ich es eben.“ Vielleicht gehört eine Portion Mut dazu, die Dinge dann im schlimmsten Fall einfach so zu lassen wie sie sind, vielleicht auch unerledigt.

6. Schuldgefühle loslassen

Einfacher gesagt als getan, oder? Schuldgefühle gehören für viele Mütter dazu, vor allem nach einem Wutausbruch. Häufig kommt noch die Last dazu, sich für Dinge zu schämen, die einfach nicht erledigt wurden.

Aber Fakt ist: Mit Schuldgefühlen ist niemandem geholfen – weder dir noch deinem Kind. Eine Studie zeigt, dass Mütter, die lernen, sich selbst zu verzeihen, weniger unter „Mom Rage“ leiden. Das bedeutet nicht, dass du alles gutheißen sollst, was passiert, aber du darfst dir zugestehen, menschlich zu sein. Sei mit dir selbst so nachsichtig, wie du es mit deinem Kind wärst – schließlich ist es in Ordnung, nicht perfekt zu sein. 

UND: Du musst nicht immer alles auf einmal erledigen, du darfst auch mal Dinge liegen lassen, ohne dich schlecht zu fühlen. Niemand sollte von dir erwarten, dass du immer alles im Griff hast – und vor allem musst du es nicht von dir selbst erwarten. Das ist ein Akt der Selbstfürsorge.

Fazit – Du bist nicht allein

„Mom Rage“ ist kein Zeichen von Schwäche. Sie ist ein Signal deines Körpers, dass etwas nicht stimmt. Wenn du dich in diesem Artikel wiedererkennst, dann lass mich dir sagen: Du bist eine gute Mutter.

Dieser Artikel soll dich nicht nur beruhigen, sondern auch dazu inspirieren, auf dich selbst zu achten. Denn am Ende profitiert auch dein Kind davon, wenn es dir gut geht.

Und wenn du das Gefühl hast, dass du mehr Unterstützung brauchst, dann kann ich dir nur ans Herz legen, auch mit anderen Müttern darüber zu sprechen. Du bist nicht allein. ❤️


Hat dich dieser Artikel angesprochen und du möchtest deine Geschichte gern teilen? Dann schreibe mir und erzähle, wie du diese Gefühle meisterst und was dir hilft.

Quellen:
  1. Vik, B., & DeGroot, J. M. (2021). Mom Rage: Understanding Maternal Anger and Frustration in Early Motherhood. [Studie aus Mom Rage scholargoogle.pdf]
  2. Gallup, Inc. (2012). Stay-at-Home Moms Report More Depression, Sadness, Anger. Gallup News. [Studie aus Stay-at-Home-Moms-Report-More-Depression-Sadness-Anger.pdf]

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert